"It`s all about the sound-you know making the guitar go aaarraaargh"!
Verfasst von
AM
Montagabend. Ein ungewohnter Zeitpunkt für einen Besuch im Gleis 22. Jedoch ein erstrebenswerter, da er das gerade beendete Wochenende irgendwie zu einem verlängertem macht.
Entsprechend ist das Gleis auch schon gut gefüllt, als die experimentelle Rockband „KERRETTA“ den Abend rein instrumental eröffnet. 3 Mann: Bass, Gitarre, Schlagzeug. Schlicht, aber aussagekräftig. Selten habe ich eine Band gesehen, die ihre Instrumente so beherrscht, sie regelrecht lebt. In Mimik und Bewegung der 3 Neuseeländer wird die Leidenschaft zu ihrer Musik deutlich, die sie uns in einem 45-minütigem Epos erzählen.
Das Publikum lauscht bewegungslos, aber durchaus interessiert, den Klängen und vielleicht wartet der ein oder andere genauso vergebens wie ich auf den Gesang, um es endlich krachen zu lassen.
Aber dafür sind heute andere zuständig und die Spannung, im mittlerweile brechend vollen Raum, ist deutlich spürbar.
Dann ist es endlich soweit: die britische Punkband, die als eine der einflussreichsten überhaupt gilt, u.a. für „Hot Water Music“, und damit auch zu den Urgesteinen der Szene zählt, betritt die Bühne: LEATHERFACE. Klingt gruselig? Soll es auch, schließlich ist die Band nach dem Bösewicht aus Tobe Hoopers „Blutgericht in Texas“ benannt. Alles andere als gruselig ist jedoch der Auftritt der 5 Briten. Vor allem Sänger, Frontmann und Herz der Band, Frankie Stubbs gewinnt mit seinem heutigen Erscheinungsbild sämtliche Sympathiepunkte. Auf Grund eines Schlüsselbeinbruchs ist sein rechter Arm provisorisch in einem rot weißen Schal fixiert und mit seinem schwarzen Hut und dem grauen Vollbart wirkt er eher wie der nette „ältere Herr“ von nebenan. Wer jetzt denkt, dass ihn das in irgendeiner Form einschränken würde, liegt völlig falsch. Er stellt in jeder Sekunde unter Beweis, wieviel Herzblut und Leidenschaft für die Musik auch nach so vielen Jahren noch in ihm stecken und nutzt den Raum für roboterähnliche Tanzeinlagen. In seinen Augen spiegelt sich der Spaß, den er dabei hat, eindeutig wider.
Aber dominiert wird dieser Abend durch seine raue Reibeisenstimme, die selbst Chuck Ragan in den Schatten stellt und immer wieder für Gänsehautfeeling sorgt. Leatherface klingt nach durchsoffenen Nächten und Schmerz, und das mein ich durchaus positiv. Die Songs stellen ein einmaliges Gemisch aus Power und Emotion dar, zum Teil bestehend aus sanften Tönen, die melodisch ins Ohr gehen, aber auch druckvollem Gitarrensound, der eine gewisse Härte erzeugt und es nie langweilig werden lässt.
So rocken sich die Herren in einem 60-minütigem Set durch 24 Jahre Bandgeschichte. Das Publikum pogt, schwitzt, gröhlt mit und trinkt fleißig Bier. So wie sich das eben gehört!
Nicht umsonst wird Leatherface in manchen Kreisen auch liebevoll als „Kneipenschläger-Emo“ bezeichnet. Passt!
Was mit der „Mush“, dem wohl bekanntesten und erfolgreichsten Album der Band, am heutigen Abend mit „Springtime“ begann, wird auch mit der „Mush“ („Not Superstitious“) beendet. Für die letzten beiden Songs lässt Frankie es sich sogar nicht nehmen trotz Schlüsselbeinbruchs selber Gitarre zu spielen. Ein echter Punk-Rocker eben!
Ein grandioser Abend, der sicher nicht nur Punkrock-Herzen höher schlagen ließ, wird damit erfolgreich abgerundet.
Wenn jeder Start in die Woche so wäre, würde vermutlich keiner mehr von „Blue Monday“ sprechen!